Blog-Beitrag: Transformationsprojekt und Transformationskonflikte in Zeiten vielfältiger Krisen

27. Januar 2025

[Bild: ZIRIUS]

Gibt es aktuell in Bezug auf die sozial-ökologische Transformation[1] eine Bedeutungsverschiebung? Der lange Zeit überwiegend positiv besetzte Transformationsbegriff scheint inzwischen teilweise zu einem politischen Drohbegriff geworden zu sein, und damit zu einem Vehikel, um Unsicherheit und Angst vor Veränderung zu schüren. Denn aktuell werden von einigen Akteuren ganz unterschiedliche gesellschaftliche Wandlungsprozesse auch jenseits sozialökologischer Fragen als „Transformation“ gerahmt, und damit als intentionaler Akt gewisser Akteure („der Eliten“, „der Politik“) gedeutet, die dann politisch angegriffen und delegitimiert werden können. Die Transformation erscheint dann als allgegenwärtige, unverhältnismäßige oder unangebrachte, aufgezwungene Bedrohung der eigenen Lebensweise und der erreichten Lebensstandards.  

Insgesamt scheinen Konflikte rund um Klimaanpassung und Klimaschutz zuzunehmen. Diese können als Folge- und Begleiterscheinung real einsetzender sozial-ökologischer Transformationsprozesse gelesen werden oder auch als Reaktion auf die wachsende Einsicht in deren Notwendigkeit. Solche verschärften Konflikte tragen zur Herausbildung und Verhärtung scheinbar unversöhnlicher politischer und gesellschaftlicher Lager bei; die Haltung zur Notwendigkeit und Dringlichkeit der Transformation ist zur gesellschaftlichen Konfliktlinie (social cleavage) geworden. Seit wann und in welchem Ausmaß es tatsächlich zu einer Häufung solcher Konflikte kommt und in welchem Zusammenhang genau, sollte jedoch unseres Erachtens eine empirische Frage und Gegenstand der empirischen Forschung sein. Die mögliche Verschärfung und polarisierende Wirkung von Transformationskonflikten sollte nicht als gegebene Tatsache, sondern als Untersuchungsgegenstand verstanden werden. Differenziertere Einschätzungen und Antworten hängen nicht zuletzt davon ab, wie Konflikte der Transformation definiert werden und inwiefern diese von anderen Konflikten unterschieden werden. Denn gesellschaftliche Veränderungsprozesse und Wandel sind schon immer von Konflikten geprägt. Trotzdem scheinen Transformationskonflikte mit den bisherigen theoretisch-konzeptionellen Mitteln nicht ausreichend erfassbar zu sein. Es ist daher zu diskutieren, ob neue konflikttheoretische Ansätze und Konflikttypologien für eine empirische Untersuchung von Transformationskonflikten notwendig sind und welche Spezifika diese adressieren müssten.

Grundlegende Voraussetzung dafür wäre, dass sich der Begriff der sozial-ökologischen Transformation vom Begriff des gesellschaftlichen Wandels unterscheiden lässt. Wie wir im Folgenden argumentieren, können Wandel und Transformation tatsächlich begrifflich unterschieden werden, ohne jedoch einen dichotomischen Gegensatz zu konstruieren: Gelingende Transformation schlägt sich in Wandel nieder, aber nicht jeder Wandel ist eine Transformation. Bei der sozial-ökologischen Transformation handelt es sich um ein zukunftsgerichtetes Projekt. Dagegen ist Wandel ein Prozess, der eine Veränderung zwischen Vergangenheit und Gegenwart beschreibt und empirisch beobachtbar ist. Im Folgenden werden wir diese konzeptionelle Unterscheidung nutzen, um den Begriff der Transformation zu konturieren und zu diskutieren, ob dieser zu einem besseren Verständnis aktueller Transformationskonflikte beitragen kann und schließlich Fragen für daran anschließende empirische Forschung skizzieren.

Wandel
Gesellschaftlicher Wandel ist retrospektiv diagnostizierbar; es gibt empirisch feststellbare Veränderungen, die als Wandlungseffekte gedeutet werden. Wandel hat stattgefunden (`Wandel´ kann Prozess und Ergebnis bezeichnen; es gab einen Wandlungsprozess und es gibt einen Wandel im Sinne von etwas hat sich geändert, etwas ist und/oder war im Wandel). Wie und wodurch bleibt eher diffus bzw. kann diffus bleiben, denn Wandel kann sich mehr oder weniger unmerklich vollziehen. Empirisch feststellbar sind Wandlungseffekte, die von unterschiedlichen Akteuren unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden können. Auch um die Diagnose und Bewertung von gesellschaftlichem Wandel kann es daher zu Konflikten kommen.

Transformation
Transformation soll stattfinden (oder eben nicht), kann bereits begonnen haben, ist aber nicht abgeschlossen. Die sozial-ökologische Transformation hat eine klare Richtung auf ein Ziel (bzw. mehrere Ziele, wie sie im Nachhaltigkeitskonzept zusammengeführt werden), allerdings ist das Ziel noch nicht erreicht und daher ist ein proaktives Vorgehen notwendig. Transformation ist kein automatischer und auch kein sich unmerklich vollziehender Prozess, denn ohne aktives Eingreifen gibt es keine Transformation.

Kurz: Transformationen sind intendiert, gesteuert und tiefgreifend sowie systemisch. Zudem ist der Transformationsbegriff normativ besetzt; er beinhaltet eine Wertung, bezeichnet eine – je nach Positionierung wünschbare oder nicht wünschbare, notwendige oder nicht (dringend) notwendige – herbeizuführende Veränderung und die davon abgeleiteten Handlungsweisen. Transformation ist in diesem Sinne:

  • intendiert: bewusst angestoßen, vorangetrieben, mit einer positiven Vision verbunden, auf eine wünschbare Zukunft gerichtet; kann aber nicht-intendierte Nebenfolgen haben;
  • normativ besetzt: mit Transformation wird eine Zukunft beschrieben, wie sie sein soll;
  • als notwendig erachtet: ohne Transformation folgen Krisen, Katastrophen, Notlagen, diese müssen durch Transformation abgewendet werden;
  • gesteuert: Richtung, Maßnahmen, Tempo sind – idealerweise – Gegenstand bewusster Entscheidungen; Steuerung wird zumindest angestrebt;
  • tiefgreifend: Transformation beinhaltet und erfordert tiefgreifende Veränderungen von institutionellen Strukturen, gesellschaftlichen Werten und Präferenzen, politischen Agenden, Wirtschafts- und Lebensweisen;
  • systemisch: Transformation betrifft die Gesellschaft in der Breite, d. h. mehr als einen gesellschaftlichen Teilbereich bzw. Sektor (z.B. Energie, Nahrung, Wasser, Ökosysteme) und kann Auswirkungen auch über Ländergrenzen hinweg haben.

Aus diesem Begriffsverständnis der normativen Vision eines intendierten Transformationsprojektes (vs. eines stattgefundenen Wandels), zeigen sich Spezifika von Transformationskonflikten. Denn ein gesellschaftliches Zukunftsprojekt ist als solches Gegenstand von Aushandlungsprozessen und meist umstritten: von manchen intendiert (allerdings auch von diesen unter Umständen mit unterschiedlichen Vorstellungen über Transformationstiefe und -geschwindigkeit), von anderen abgelehnt oder bekämpft. Auch die normative Wertung, die Diagnose der Notwendigkeit und die damit verbundenen Handlungsaufforderungen und -erwartungen sind umstritten. Wenngleich Transformation als Projekt immer Wertungen und Handlungsaufforderungen beinhaltet, haben sich die Vorzeichen dieser Wertung in letzter Zeit gewandelt; Transformation ist von einem positiv zu einem oft ambivalenten oder auch negativ konnotierten Begriff geworden.

Das sozial-ökologische Transformationsprojekt hat benennbare Akteure, von denen es vorangetrieben oder aufgehalten wird.

Diese Aushandlungsprozesse finden in bestimmbaren Arenen statt. Allerdings sind diese institutionalisierten Aushandlungsarenen bisher siloartig (häufig sektoral) organisiert und verhindern eine systemische Bearbeitung der Transformation und ihrer Konflikte. Daher kommt es oft zu einer Priorisierung einzelner Nachhaltigkeitsthemen gegenüber anderen, z. B. Ausbau der Erneuerbaren vs. Erhalt von Ökosystemen. Beobachtbar sind außerdem sektorale oder räumliche Verlagerungen der Herausforderungen, Zielkonflikte und Aufgaben (z.B. auf die lokale oder globale  Ebene), oft verbunden mit einer Art Wette auf die Zukunft, etwa in Form der Hoffnung auf neue technologische Lösungen, z. B. den grünen Wasserstoff, die konflikthaftere Struktur- und Verhaltensänderungen unnötig zu machen scheinen.

 

Transformationskonflikte
Transformationskonflikte erstrecken sich auf

  • Ziele der Transformation; Maßnahmen, um diese zu erreichen; das Tempo, sowie die Transformationstiefe,
  • Akteure und ihre Legitimation: Wer ist legitimiert für wen oder was zu sprechen und zu entscheiden?
  • Arenen der Governance und ihre notwendige institutionelle Ausgestaltung bzw. Veränderung: Was muss/darf der Staat, was dürfen/müssen die Institutionen der repräsentativen Demokratie und die der direkten Demokratie, des Marktes, des Rechts, was darf die Zivilgesellschaft, „die Straße“ – und was dürfen diese jeweils nicht? Wer hat Zugang zu den Arenen? Wie müssen die Institutionen angepasst bzw. sogar umgestaltet werden, um die angestrebte/notwendige Transformation zu bewirken?

Die Aushandlungen gehen dabei über den jeweiligen Konfliktgegenstand hinaus: auch die Arenen und Prozesse der Aushandlung und Legitimität von Akteuren und Entscheidungsprozessen kommen auf den Prüfstand. Transformationskonflikte führen zu Handlungs- und Entscheidungsdruck unter neuen Unsicherheiten. Dabei ist zu klären wer handeln kann (capacity) und wer handeln muss, wer dafür zuständig und legitimiert ist. Dies geht einher mit der Frage, wie Governancestrukturen neu aufgestellt werden können oder müssen. Ein zentraler Aspekt ist dabei die (generationenübergreifende) Zukunftsgerichtetheit von Transformationen. Diese wirft die Frage auf, wer legitimiert ist, heute Entscheidungen zu treffen, deren Folgen für zukünftige Generationen existenziell sein werden, die diese aber durch eigene politische Entscheidungen nicht mehr in allen Fällen oder rechtzeitig werden revidieren können. Diese Frage stellt sich zwar auch bei anderen Konfliktgegenständen implizit, aber bei Transformationskonflikten ist diese explizit und trifft immer zu. Transformationskonflikte zeigen sich als typische „wicked problems“, deren Problemnatur schwer greifbar ist und häufig auch bleibt. Bestehende Institutionen der Konfliktbearbeitung scheinen aktuell nicht in der Lage, legitime Deutungen, Entscheidungen und Politiken auf den Weg zu bringen.

 

Forschungsfragen und Diskussionspunkte
Wir schlagen vor, zukünftige Forschung darauf zu richten, wie sich konkrete sozial-ökologische Transformationsanstrengungen im Vergleich zu Transformation als Idee zeigen. Was lässt sich empirisch und auch auf Ebene gesellschaftlicher und politischer Diskurse beobachten? Einzelne Reformschritte und technische Maßnahmen ökologischer Modernisierung wären im oben dargelegten Sinne keine systemische, sozial-ökologische Transformation. Trotzdem gibt es unterschiedliche Transformationstiefen in verschiedenen Sektoren. Hier ist zu fragen, warum dies so ist, welche Mechanismen diese vorantreiben und ob dadurch auch unterschiedliche Transformationskonflikte entstehen bzw. verschiedene Konfliktdimensionen von Transformationskonflikten relevant werden.

Eine grundlegende Frage ist auch, ob Transformationsdruck maßgeblich durch objektive Problemlagen wie Überlastung der planetaren Grenzen, Klimawandelfolgen (transformation by desaster) entsteht und/oder durch politische Willensbildung, politischen Druck und Mehrheiten. Angesichts der zu beobachtenden Bedeutungsverschiebung stellt sich die Frage, wieviel Raum es (noch) für demokratisch ausgehandelte bewusste Transformationsprozesse (transformation by design) gibt und wie dieser Raum erhalten und womöglich erweitert werden kann. Es ist zu analysieren, wodurch die derzeitige Bedeutungsverschiebung hervorgerufen wurde und welche Faktoren dabei ineinandergreifen. Welche Rolle spielen dabei konkrete, erfahrbare Veränderungen wie z.B. Preiserhöhungen? Inwiefern sind diese Veränderungen tatsächlich der Transformation geschuldet, oder werden lediglich als Transformationsfolgen gedeutet, obwohl sie andere Ursachen haben? Inwiefern werden Wirtschaftskrisen und damit verbundene Verluste der Transformation bloß zugeschrieben, um auf diese Weise besser mit Überforderungen und Kontrollverlusten umgehen zu können? Während internationale Krisen und Kriege als nicht beeinflussbar wahrgenommen werden, wird die Dringlichkeit der sozial-ökologischen Transformation in Frage gestellt bzw. es werden Rufe laut, diese neu zu verhandeln, zeitlich zu verschieben, Maßnahmen abzuschwächen, um angesichts der Polykrisen (scheinbar) handlungsfähig zu bleiben.

Kathrin Braun, Nils Egger, Hannah Kosow, Cordula Kropp, Matthias Leger, Christian Léon, Doris Lindner, Janina Moschner, Sandra Wassermann, Sarah-Kristina Wist

 

[1] Wenn im Folgenden von Transformation gesprochen wird, dann als Abkürzung für sozio-ökologische Transformation in Richtung Nachhaltigkeit.

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