Ein digitales Double der Stadt zu haben - dies scheint eine Idee, die weithin Faszination auslöst und sich in vielfältigen Varianten immer mehr verbreitet. Ob virtuelles 3D Modell, digitales Dashboard, Datenplattform, Simulation, oder stadtspezifische App – immer mehr Städte experimentieren mit solchen digitalen urbanen Technologien, häufig im Rahmen großer Forschungs- und Förderprogramme zur Entwicklung einer Smart City oder eines digitalen urbanen Zwillings. Tatsächlich handelt es sich um komplexe Arrangements aus materiellen, virtuellen, informationellen, organisatorischen, kulturellen, finanziellen und anderen Komponenten, die wir als digitale Planungs- und Partizipationsarrangements verstehen können.
Meist sind an diese Doubles hohe Erwartungen geknüpft: Sie sollen helfen, Planungs- und Steuerungsprozesse zu optimieren, die Kommunikation zwischen Planenden und BürgerInnen zu verbessern, BürgerInnen und Öffentlichkeit mehr Chancen bieten, sich in städtische Planungs- und Entscheidungsprozesse einzubringen und nicht zuletzt bessere, schnellere und effektivere Lösungen für die Probleme der Stadt zu finden: vom Mangel an bezahlbarem Wohnraum über den Verkehrsinfarkt bis zu den Auswirkungen der Klimakrise. Übergeordnetes deklariertes Ziel ist häufig, die dringend notwendige nachhaltigkeitsorientierte Transformation der Stadt herbeizuführen und zu beschleunigen.
Städte sind Mitverursacher der Umwelt- und Klimakrise und gleichzeitig Orte, an denen ihre Auswirkungen bereits drastisch zu spüren sind. Hochwasser und Hitzewellen kosten Menschenleben, urbane Infrastrukturen müssen verstärkt werden, um katastrophalen Störungen und Ausfällen vorzubeugen. Zugleich bieten Städte und städtische Infrastrukturen auch eine Fülle von Ansatzpunkten für eine effektive Reduzierung von CO2-Emissionen und Ressourcenverbräuchen.
Wie aber sieht es in der Praxis aus? Inwieweit werden solche digitalen urbanen Technologien bereits angewendet, wie werden sie ausgestaltet und genutzt? Welche Partizipationschancen bieten sie für BürgerInnen und Öffentlichkeit und wie verändern sie die Formen und Foren von Partizipation? Wie verändern sie Stadtplanung und Stadtentwicklung und letztlich auch die Stadt? Was wissen wir darüber, ob und wie digitale Planungs- und Partizipationsarrangements zu einer nachhaltigkeitsorientierten und sozial gerechten Transformation urbaner Räume beitragen?
Diese Fragen standen im Fokus des internationalen Forschungsworkshops Right to the City 4.0? Digital Planning and Participation Arrangements for an Intelligent Transformation of Urban Infrastructures am 16./17. Mai in Stuttgart, der von ZIRIUS organisiert und von IRIS, dem IZKT und dem Hospitalhof unterstützt wurde. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überwiegend aus den Sozialwissenschaften, der Sozialgeographie und Wissenschafts- und Technikforschung, aus Deutschland, Österreich, Norwegen, den Niederlanden, Irland und Belgien, präsentierten und diskutierten dazu ihre Forschungsergebnisse. Dabei kristallisierten sich einige übergreifende Themen, Probleme, Diskrepanzen und Spannungsverhältnisse heraus, die auch Anknüpfungspunkte für weitere Forschung bilden:
Chancen für BürgerInnen und/oder neue Stakeholder? Dazu gehört die Frage, wie die Potenziale solcher Arrangements so gestaltet werden können, dass sie auch solchen Bürgerinnen und Bürgern effektive und für sie relevante Beteiligungsmöglichkeiten bieten, die in der Praxis meist nicht gefragt und gehört werden. Dazu zählen u.a. Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen, aber auch einkommensschwache soziale Gruppen und BewohnerInnen benachteiligter Stadtviertel. Hierfür müssten die entsprechenden Nutzerinnengruppen aktiv an der Gestaltung der Arrangements beteiligt und diese dann in die institutionellen Strukturen integriert werden. Beides scheint aber eher die Ausnahme als die Regel zu sein. Verbunden damit erhebt sich allgemein die Frage, wer mit welchen Zielvorstellungen, Interessen und Bedarfen und welchen Kompetenzen und Ressourcen die Entwicklung und Ausgestaltung neuer digitaler Planungsarrangements prägen kann. In verschiedenen Beiträgen zeigte sich, dass das Geschehen nicht nur von den klassischen, institutionell vorgegebenen Akteurstypen – wie Kommunalverwaltung, Kommunalpolitik, Bürgerinnen und Bürgern – bestimmt wird, sondern v.a. auch von Softwareanbietern, großen privatwirtschaftlichen Beratungsfirmen, Forschungseinrichtungen und Fördergebern. Diese können als neue intermediäre Stakeholder begriffen werden, die, durchaus mit eigenen Interessen, die Beziehungen zwischen Technologien, BürgerInnen, Politik und Verwaltung vermitteln und neu konfigurieren. Welchen Einfluss und welche Handlungsmacht diese neuen, oder nicht immer ganz neuen, Stakeholder bei der Einführung und Ausgestaltung digitaler Planungs- und Partizipationsarrangements in urbanen Planungs- und Transformationsprozessen haben, muss weiter beobachtet und untersucht werden.
Rhetorik und/oder Praxis? Allerdings, so ein weiteres Thema, besteht eine große Diskrepanz zwischen der eher euphorischen Lösungs- und Potenzialrhetorik auf Seiten von Fördergebern, Forschungsreinrichtungen, Softwarefirmen und Beratungsunternehmen und der realen Integration solcher Arrangements in institutionelle Verfahren und Routinen auf der anderen Seite. Nur wenige Tools und Arrangements, konstatierte Rob Kitchin, sind tatsächlich anwendungsreif, und nahezu nirgendwo ist ihre Anwendung standard practice. Insbesondere die Planenden in den städtischen Verwaltungen sind skeptisch; nicht zu Unrecht befürchten sie zusätzliche Belastungen durch Qualifizierungsmaßnahmen sowie Störungen und Systemfehler, gerade in der Einführungsphase, vor allem vor dem Hintergrund von Personalmangel und Kürzung der öffentlichen Haushalte. Eine solche zusätzliche Belastung wäre aus Sicht der Planenden nur gerechtfertigt, wenn sie einen realen zusätzlichen Nutzen bringen würde. Diesen sähen sie aber nicht.
Innovation und/oder Integration? Aus einer etwas anderen Perspektive präsentierte sich die Diskrepanz zwischen Ankündigung und Anwendung als Vorrang der Innovation vor der Integration: häufig werden Tools entwickelt, den (meist großen) Städten angeboten, in Realexperimenten getestet, und Pilotprojekten eingesetzt, aber selten in die bestehenden institutionellen Strukturen integriert. Ein Grund dafür dürfte in der Abhängigkeit von zeitlich befristeten Fördermitteln liegen und in Förderstrukturen, die Innovation gegenüber Integration privilegieren. Für Innovation gibt es Fördermittel – für institutionelle Integration kaum. Dadurch ergeben sich für die Städte Anreize zur Beteiligung an immer neuen befristeten, projektförmigen Experimenten mit neuen Tools, die im Prototypen-Status verbleiben, aber keine zur aufwändigen Umgestaltung bestehender institutioneller Strukturen. Um Förderung zu erlangen, müssen die Projekte primär innovativ sein, aber nicht notwendiger Weise reale Bedarfe befriedigen. Entwicklung und Einsatz neuer digitaler Planungs- und Partizipationsarrangements, so ein Befund, der in mehreren Beiträgen zum Vorschein kam, gehen in den seltensten Fällen von der Feststellung konkreter Probleme und Bedarfslagen aus.
Ohne Zweifel, so kann man nach dieser Tagung resümieren, haben die digitalen Doubles der Stadt die Tendenz, sich weiterzuentwickeln, zu vervielfältigen und verbreiten. Und zweifellos haben sie das Potenzial, die Stadt, ihre Planung und Steuerung sowie die Beziehungen zwischen BürgerInnen, Politik und Verwaltung zu verändern. In welche Richtung diese Veränderungen gehen, wer sie bestimmt, welche und wessen Probleme sie lösen, welche nicht und welche sie neu aufwerfen, ist zurzeit noch weniger klar. Hier ist weitere kontextsensitive, situierte und empirisch gesättigte sozialwissenschaftliche Forschung gefordert.