Motivation
Der Umbau der Energiesysteme in Deutschland, Europa und weltweit ist eine der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Dieser Prozess wird in den kommenden Jahrzehnten zu Entwicklungen führen, die heute noch nicht vorherzusehen sind. Szenarien zu modellieren, die sowohl der Komplexität des Energiesystems als auch den Unsicherheiten im Hinblick auf künftige Entwicklungen Rechnung tragen, ist eine wichtige Aufgabe der Wissenschaft. Zur Erstellung von Szenarien stehen grundsätzlich eine Vielzahl unterschiedlicher Simulations- und Optimierungsmodelle mit unterschiedlicher zeitlicher Auflösung zur Verfügung. Ein vollständiges Bild des Energiesystems ist dabei häufig nur durch Modellkopplung zu erreichen, indem Modelle, bei denen das energiewirtschaftliche Gesamtbild im Vordergrund steht, die jedoch i.d.R. eine geringe zeitliche Auflösung aufweisen (z.B. Energiesystemmodelle), mit Modellen mit feineren Zeitschritten (z.B. Strommarkt- oder Netzmodelle), die sich auf Subsysteme fokussieren, verknüpft werden. Die datenseitige Kopplung der unterschiedlichen Modelltypen wurde bisher häufig über die Verwendung von Standardlastkurven vorgenommen. Entsprechend wurde das Lastprofil lediglich im Niveau angepasst. Während dieses Vorgehen für Gegenwartsanalysen und kurzfristige Szenarioanalysen zielführend ist, entsteht bei langfristigen Szenarioanalysen die Gefahr fehlerhafter Ergebnisse, da das Vorgehen impliziert, dass die Form der heutigen Lastkurve in Zukunft konstant bleibt. Strukturelle Wirkungen durch die Implementierung neuer Technologien (z.B. E-Mobilität, Stromspeicher, Techniken im Bereich der Digitalisierung) und durch gesellschaftlichen Wandel (z.B. Trend zur Digitalisierung, vermehrte Nutzung von Home-Office, veränderte Öffnungszeiten, Fahrverbote) wurden in der Vergangenheit häufig ignoriert. Die bisher vorliegenden Ansätze beschränken sich weitgehend auf Veränderungen durch die Implementierung neuer Technologien, die der Steuerung von Stromangebot und –nachfrage dienen (z.B. Smart Grid). Die Wirkungen des gesellschaftlichen Wandels auf die Stromnachfrage bzw. deren Niveau und zeitliche Struktur wurden bisher nicht explizit untersucht. Entsprechend wurden auch bestehende Unsicherheiten hinsichtlich der Entwicklung der Stromnachfrage sowie seine Bedeutung für die Energiewende bisher weitgehend unterschätzt bzw. vernachlässigt. Es zeigt sich schon jetzt, dass die Energiewende nicht mengenmäßig, sondern kapazitiv an Grenzen stößt und der gleichzeitigen Betrachtung von Arbeit und Leistung inkl. bedarfsgerechter Flexibilität eine immer wichtigere Bedeutung zukommt.
Ziele und Vorgehen
Ziel dieses Projektes ist es, diesen blinden Fleck in der Energiesystemforschung auszuleuchten und passgenaue Lastkurven für spezifische Kombinationen von Technologieentwicklung und gesellschaftlicher Entwicklung in Niveau und Profil zu generieren. Dazu soll ein Open Source Nachfragetool entwickelt werden, indem zum einen die entsprechenden Kombinationen mit ihrer spezifischen Nachfrage nach Energiedienstleistungen hinterlegt werden und welches zum anderen eine Schnittstelle zwischen Energiesystemmodellen (ESM) und Strommarktmodellen (SMM) darstellt. Die Verwendbarkeit des Nachfragetools wird im Vorhaben exemplarisch erprobt. Durch die freie Verfügbarkeit des Nachfragetools, welches explizit nicht ausschließlich für die im Projekt genutzten Modelle konzipiert wird, sondern generisch einsatzfähig sein soll, wird angestrebt, auch andere Nutzer von ESM oder SMM in die Lage zu versetzen, die Projektergebnisse direkt in ihre Modellierung einzubinden. Die exemplarische Anwendung des Nachfragetools soll darüber hinaus eine Indikation liefern, inwieweit sich der gesellschaftliche Wandel auf Fragen rund um den Technologie-Mix, die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit der Energiewende auswirkt.
ZIRIUS
ZIRIUS hat die Gesamtprojektleitung inne und ist hauptverantwortlich für die Arbeitspakete 1 „Definieren von Megatrend sowie nachfragewirksamen gesellschaftlichen Aspekten und deren Auswirkungen auf Energiedienstleistungen“, 2 „Erstellen konsistenter sektorspezifischer Treiberkonstellationen für den Lastprofilwandel mit der Cross-Impact Bilanzanalyse (CIB)“, 3 „Erstellen konsistenter sektorübergreifender Treiberkonstellationen für den Lastprofilwandel mit der Cross-Impact Bilanzanalyse (CIB)“ und 8 „Reflexion und Dissemination“ sowie beteiligt an den Arbeitspaketen 4 „Erarbeiten von Hypothesen zu Variantenkombinationen mit lastprofilwirksamen Veränderungen und deren quantitative Umsetzung“ sowie 5 „Energiesystemmodellierung“.
Projektpartner
Wissenschaftlicher Begleitkreis
- Melanie Degel, IZT Berlin
- Prof. Dr. Marc Deissenroth-Uhrig, Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme (IZES gGmbH)
- Dr. Tom Kober, Paul Scherrer Institut
- Ulrich Köhler, Trendbüro, Beratungsunternehmen für gesellschaftlichen Wandel B. G. W. GmbH
- Prof. Dr. Dr. h.c. Ortwin Renn, Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS
- Michael Schipperges, sociodimensions, Institute for Socio-cultural Research