Digitale Planungstools, intelligent entwickelte Visualisierungen und Simulationen (wie z.B. urbane digitale Zwillinge) können dazu beitragen, Planungsprozesse besser zu begleiten und Stakeholder in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Dies ist insbesondere dann hilfreich, wenn eine Vielzahl von Akteur:innen mit unterschiedlichen Interessen beteiligt ist (z.B. in der Mobilitätsplanung oder Energieplanung). Doch wie müssen solche Tools gestaltet sein, um eine gemeinsame Erarbeitung von Handlungswissen zu ermöglichen? Mit welcher Herangehensweise kann die Zusammenarbeit zwischen den Stakeholdern aus Verwaltung, Wirtschaft und Privathaushalten gefördert werden? Wann sollten welche Inhalte auf welche Weise visualisiert werden? Welcher Grad an Komplexität, Abstraktion und Informationsfülle ist ideal für welche Akteursgruppen? Welche Daten und Entscheidungskriterien sollen und können wie aufbereitet werden? Kurzum: wie können Planungstools zielgruppenorientiert gestaltet werden? ZIRIUS hat im Rahmen des Forschungsverbundes DiTEnS (Discursive Transformation of Energy Systems) Wissenschaftler:innen aus rund 20 Forschungsvorhaben aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eingeladen, um sich über diese und weitere Fragen auszutauschen. Die Veranstaltung wurde sowohl durch die Carl-Zeiss-Stiftung als DiTEnS-Projektförderer als auch durch IRIS (Interchange Forum for Reflecting on Intelligent Systems) unterstützt.
Obwohl sich die Anwendungsbereiche (Mobilität, Energiewende, Stadt-/Kommunalplanung) sowie die entwickelten Tools über die Projekte hinweg unterscheiden (z.B. Touch Tables, VR/AR, spielerische Elemente, webbasierte 2D-Tools), berichten alle Wissenschaftler:innen von ähnlichen Herausforderungen. Eine zentrale Erkenntnis ist die Notwendigkeit der Verschränkung mehrerer Visualisierungstools zu unterschiedlichen Zeitpunkten innerhalb von Beteiligungsprozessen, um alle Zielgruppen adäquat zu bedienen. Insbesondere für die Arbeit mit Bürger:innen und zur anfänglichen Wissensgenerierung haben sich einfache, interaktive Tools und die Verwendung spielerischer Elemente (Gamification) bewährt. Ebenso Möglichkeiten des Storytellings, indem toolintegrierte Navigationsboards die Nutzenden selbst durch das Tool führen. Damit werden die Bürger:innen zur selbständigen Nutzung ohne die Anwesenheit von Tool-Expert:innen befähigt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gestaltung der Partizipationsprozesse. Es wurde deutlich, dass eine große Herausforderung schon darin besteht, die Motivation aller relevanten Stakeholder über eine längere Prozessdauer aufrecht zu erhalten. Die frühe Festlegung passender Workshopzeitpunkte bei sehr heterogenen Stakeholdergruppen sowie eine transparente Kommunikation von Zeitabläufen und regelmäßige Updates haben sich dafür als relevante Erfolgsfaktoren herauskristallisiert. Ein weiterer bedeutender Aspekt ist die Glaubwürdigkeit der in Modellen und Simulationen verwendeten Daten. Diese ist zentral für die zweckdienliche Nutzung von Tools und wird beispielsweise durch eine veraltete Datengrundlage schnell verspielt. Die Datenverfügbarkeit für die Modellierung und Visualisierung stellt eine große Herausforderung dar. Sie unterscheidet sich je nach Land, Region und Kommune. Die Expert:innen diskutierten Möglichkeiten der Integration sowie Validierung von gemessenen und synthetischen Verbrauchs- und Potenzialdaten für die Energiesystemmodellierung. Als eine Möglichkeit zur Datenverbesserung wurde die Kooperation mit den beteiligten Stakeholdern selbst gesehen. Im Sinne von Citizen Science ist es möglich, dass Personen gewisse Daten selbst erheben und über Schnittstellen in ein Tool eingeben oder bestehende Daten korrigieren. Darüber hinaus wird eine langfristige Verbesserung der Datenverfügbarkeit durch Open Data Initiativen und durch eine stärkere Zusammenarbeit mit Akteur:innen aus Politik und Verwaltung erwartet. Nicht zuletzt werden Standards in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Herangehensweisen an die Entwicklung partizipationsorientierter Tools als sinnvoll erachtet wie etwa die in Kürze erscheinende DIN-Spezifikation für urbane digitale Zwillinge.
Neben den Erfahrungen mit simulationsgestützten Visualisierungstools und deren Einsatz in Beteiligungsprozessen diskutierten die Teilnehmenden auch allgemeine Herausforderungen der Zusammenarbeit in interdisziplinären Forschungsteams. Dabei sticht die Bedeutung der Etablierung einer gemeinsamen Sprache heraus: Da Begriffe in unterschiedlichen Forschungsdisziplinen uneinheitlich verwendet werden, bedarf es in einem interdisziplinären Projekt einer gemeinsamen Setzung von Definitionen, welche etwa in einem Glossar oder Lexikon gesammelt werden können. Hierfür bieten sich auch bereits bestehende Ontologien an (wie z.B. die Open Energy Ontology für den Bereich der Energiesystemanalyse). Eine Verwendung und Weiterentwicklung solcher Ontologien fördern zudem die Etablierung von Standards über einzelne Forschungsprojekte hinaus. Für den Bereich der transdisziplinären Forschung, also der Zusammenarbeit mit außerwissenschaftlichen Akteur:innen, zeigen sich vor allem zwei Herausforderungen: Einerseits werden die Forschenden durch die direkte Zusammenarbeit mit Stakeholdern aus Verwaltung, Wirtschaft oder Privathaushalten in Planungsprozessen zu Gestaltenden ebendieser Prozesse und können so nicht nur in der Rolle des analytischen Wissenschaftlers oder der problemlösenden Ingenieurin verbleiben. Vielmehr pflegen Forschende auch aktive Beziehungen zu Akteur:innen aus der Praxis und moderieren die Beteiligungsprozesse aktiv. Als weitere Herausforderung transdisziplinärer Forschung zeigt sich andererseits die beschränkte Übertragbarkeit von Ergebnissen oder Ansätzen auf neue Gebiete aufgrund von lokalen Eigenheiten der Projektgebiete. Dabei spielt auch die ortsspezifische Zusammensetzung der Stakeholder eine Rolle. Die Notwendigkeit zur Anpassung an lokale Spezifika müssen Projekte in ihre Entwicklungen von Anfang an einbeziehen und somit Tools entwickeln, die nicht primär universal anwendbar bzw. skalierbar sein sollen, sondern vor allem flexibel und schnell auf neue Gegebenheiten reagieren können.
Angesichts der ähnlichen Herausforderungen wünschten sich die Teilnehmenden am Ende des Forschungsworkshops eine Fortführung des Austauschs, der in Kürze durch einen E-Mail-Verteiler mit Hinweisen auf Events, Publikationen und Fortschritte in der Entwicklung von Modellen und Tools unterstützt wird. (Falls bei Ihnen als Lesende Interesse besteht, in diesen Verteiler mitaufgenommen zu werden, können Sie sich gerne bei den Blogautor:innen melden). Zukünftig könnten über dieses Forschungsnetzwerk auch Vergleiche zwischen Ländern und Regionen gezogen werden, um weitere Erkenntnisse zusammenzubringen und Best Practices für den Einsatz digitaler Tools in der partizipativen Planung herauszuarbeiten.
Über DiTEnS
Der neu gegründete Forschungsverbund DiTEnS (Discursive Transformation of Energy Systems) an der Universität Stuttgart befasst sich mit der Entwicklung von geeigneten VR-Visualisierungen auf Basis von Energiesystemmodellierungen und digitalen Zwillingen sowie deren Einsatz in Stakeholder-Beteiligungsprozessen der urbanen Energiesystemtransformationen (Nähere Informationen: www.zirius.uni-stuttgart.de/projekte/ditens). DiTEnS wird durch die Carl-Zeiss-Stiftung gefördert (Nähere Informationen: https://www.carl-zeiss-stiftung.de/themen-projekte/uebersicht-projekte/detail/sri-ditens).
Über die Carl-Zeiss-Stiftung
Die Carl-Zeiss-Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, Freiräume für wissenschaftliche Durchbrüche zu schaffen. Als Partner exzellenter Wissenschaft unterstützt sie sowohl Grundlagenforschung als auch anwendungsorientierte Forschung und Lehre in den MINT-Fachbereichen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). 1889 von dem Physiker und Mathematiker Ernst Abbe gegründet, ist die Carl-Zeiss-Stiftung eine der ältesten und größten privaten wissenschaftsfördernden Stiftungen in Deutschland. Sie ist alleinige Eigentümerin der Carl Zeiss AG und SCHOTT AG. Ihre Projekte werden aus den Dividendenausschüttungen der beiden Stiftungsunternehmen finanziert.