Blog-Eintrag Nr. 6: ValBio-Urban - Ein Blick hinter die Kulissen der Bioökonomie

24. November 2023 /

Bioökonomie ist in aller Munde: Das Pariser Klimaabkommen von 2015, der europäische "Green Deal", die Anfang 2020 vom Bundeskabinett verabschiedete nationale Bioökonomie-Strategie und die 2019 veröffentlichte Landesstrategie „Nachhaltige Bioökonomie für Baden-Württemberg” belegen eindrucksvoll die Breite der Bewegung. Trotzdem bleibt, so zeigt ein Blick aus dem Elfenbeinturm, in der Bevölkerung einigermaßen diffus, was mit Bioökonomie eigentlich gemeint ist. Vielfach wird mit Bioökonomie schlicht „irgendwie was mit Nachhaltigkeit“ bzw. „Bio-Produkten“ assoziiert. Während in der Wissenschaft also fleißig an Themen der Bioökonomie gearbeitet wird, bleibt ein Verständnis in der Bevölkerung dazu eher vage.

Auch an der Universität Stuttgart wird inter- und multidisziplinär zu Themen der Bioökonomie geforscht. Als Teil der Stuttgart Research Initiative Valorization of Bioressources (ValBio) untersuchte ZIRIUS im Projektverbund ValBio-Urban die „Gesellschaftliche Wahrnehmung von Produkten aus Reststoffen“ und das Potential ihrer erfolgreichen Translation. Im Rahmen des vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg gefördert Teilprojekts wurde hierfür ein Blick hinter die Kulissen der deutschen Bioökonomie-Landschaft geworfen. Die Ergebnisse zeigen: die sozialwissenschaftliche Forschung zum Thema Bioökonomie steckt noch in der Nische – und soziologisches Wissen wird dringend benötigt. Die bisherigen Studien zum Thema – Umfragen zur Wahrnehmung von Bioökonomie im Allgemeinen oder aber produktspezifische Forschung – stellen dar, dass es bei der gesellschaftlichen Wahrnehmung bioökonomischer Produkte stets auf den Einzelfall, auf das konkrete Produkt, ankommt. Zu diesem Ergebnis kommt u.a. auch das 2020 erschienene, von ZIRIUS durchgeführte Technikradar, das sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Bioökonomie beschäftigte.

Die Perspektive wechseln

Um Erkenntnisse zur erfolgreichen Translation bioökonomischer Produkte gewinnen zu können, wurde im Projekt ein Perspektivenwechsel vollzogen: Anstatt zukünftige KundInnen nach der Akzeptanz potentieller Produkte zu fragen, stand im Projekt vielmehr die Frage im Mittelpunkt, wie denn die professionellen Akteure und Akteurinnen der Bioökonomie – Produzenten, Entwickler, sogenannte „Praktiker“ - die potentiellen künftigen KundInnen betrachten. Aus soziologischer Perspektive bedeutet das u.a. zu fragen, welche Imaginationen dem System Bioökonomie, ihrer Produktionsweise und ihren Produkten, zugrunde liegen. Denn: durch die Beantwortung dieser Frage lassen sich wertvolle Rückschlüsse nicht nur zum (idealtypischen)Konsumentenbild entsprechender AkteurInnen, sondern auch zum Bioökonomiediskurs im Allgemeinen ziehen.

Hierfür wurden neben einer umfangreichen Literaturrecherche insbesondere ExpertInnen-Interviews geführt und qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet. Exemplarisch dienten dabei Produktionskontexte aus den an der Universität Stuttgart geförderten Projekten Insektenbioraffinerie (InBiRa) und Biowaste to Products (BW2Pro). Die Spannweite reichte dabei von faserbasierten Pflanztöpfen über biologische Wasch- und Kosmetikartikel bis zu insektenbasierten Proteinen.

Ein umweltpsychologischer Bias

Bisherige Pilotprojekte und Studien argumentieren in erster Linie, dass seitens der Verbraucher ein erhöhter Bedarf an Information und Kommunikation hinsichtlich Bioökonomie (d.h. ihren Inhalten, Zielen, Maßnahmen usw.) besteht. Darüber hinaus wird vielfach der Preis entsprechender Produkte als entscheidendes Kriterium für bzw. wider den Kauf benannt. Die Ergebnisse unserer Interviews betten sich dabei überwiegend in diese bestehenden Befunde ein und zeigen dieselben (soziologischen) Leerstellen: Auch für die von professionellen Akteuren imaginierten, zukünftigen KonsumentInnen zählen nämlich insbesondere die Faktoren Information (über die Herstellung, aber insbesondere bzgl. der Sicherheit der entsprechenden Produkte) und Preis. In dieser Imagination dominiert ein in der Umwelt- und Konsumpsychologie häufig anzutreffendes – aber empirisch schwerlich haltbares – rationalistisches Konsumentenbild, welches weitere Faktoren, wie die diskursive Rahmung biologischer, ökologischer oder eben bioökonomischer Produkte, wertebasierten Konsum oder die Einbettung entsprechender Produkte in Nutzungskontexte, Alltagspraktiken und materielle Infrastrukturen fast durchweg außer Acht lässt.

In den Schilderungen unserer Interviewpartner, die sich tagtäglich der Erforschung und Entwicklung neuer, alternativer und biobasierter Produkte und Produktionsmöglichkeiten widmen, konnten wir dabei ein übergreifendes Konzept herausarbeiten, welches die von uns untersuchte Perspektive prägnant zusammenfasst.

Der Innovationsgeist

Das von uns herausgearbeitete Konzept des Innovationsgeistes vereint die drei im Material zentralen Themen Preis bzw. Kosten, technische Umsetzbarkeit und politische Regulierung. Es zeigt sich, dass für diese Akteure in erster Linie die technische Realisierbarkeit bioökonomischer Produktion im Mittelpunkt steht – und dass KonsumentInnen (selbstverständlich) zum biobasierten, ökologischen Produkt greifen werden. Vorausgesetzt: es ist maximal gleich teuer wie herkömmliche Alternativen und bietet darüber hinaus idealerweise noch einen Vorteil. Wenn es – technisch wie finanziell - möglich ist, biobasierte Produkte ‚im Großen Stil‘ zu produzieren, so das gängige Narrativ, wird sich die Akzeptanz auf KonsumentInnenseite entsprechend der Marktprinzipien von selbst regeln. Was es vielmehr brauche, sind die richtigen politischen Rahmenbedingungen: mehr Investitionssicherheit bei gleichzeitig weniger Regulierung.

Diese Ergebnisse zeigen einen verengten Blick, welcher dem Weltbild der ökologischen Modernisierung folgt – dass eine nachhaltige Transformation der Gesellschaft durch technischen Fortschritt (allein) gelöst werden kann. Anstelle von komplexen Einbettungen in Alltagspraktiken, je nach konkretem Produkt unterschiedlich angelegten Bewertungsmaßstäben, diskursiven Rahmungen und Narrativen oder den mentalen wie materiellen Infrastrukturen der Gesellschaft regiert hier ein vornehmlich technokratisches Verständnis von Transformation, welches seinerseits auf Produktion und Produkte zurückwirkt.

Hinter der technischen Umsetzung, rechtlichen Regulierung, den bürokratischen Hürden und dem – bei Innovationen stets gegebenen – finanziellen Risiko bleiben sozialwissenschaftliche resp. soziologische Kategorien im professionellen Diskurs aktuell noch weitgehend zurück. Eine solche Schieflage, geht, so die Schlussfolgerung des Projekts, zu Lasten einer partizipativen und demokratischen Transformation, da hier weniger die Frage nach dem ‚wohin‘ als vielmehr lediglich nach dem ‚wie‘ mit vorgegebenem Ziel diskutiert wird. Für eine sozial verträgliche, inklusive und letztlich erfolgreiche Etablierung der Bioökonomie jedoch wäre eine solche Erweiterung der Perspektive nur ratsam.

Bei Fragen wenden Sie sich an Matthias Leger.

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